Eine Liebeserklärung an Bad Gastein.

Published On 2015-09-25 | By Roland | Sweet Spots, Urbanes
Der verfallene Glanz besserer Tage spiegelt sich kaum besser als in diesem Ort.
Ein Ort, dessen Hochblüte in vergangenen Zeiten liegt, in Zeiten, in denen die Aeronautik noch nicht den Tourismus beherrschte, in denen sich selbst Staatsoberhäupter noch am Boden dieser Welt fortbewegen mussten, als die Vorstellung, dass Karlchen Arsch mit seinem kümmerlichen Urlaubsgeld bis ins damalige Siam fliegen, FLIEGEN!, kann, noch unwahrscheinlicher als die Besiedelung des Mondes war.
Man stelle sich diesen Ruhm vor – österreichische Kaiser, der deutsche Kaiser Wilhelm I., russische Zaren, Bismarck, Chrustschow, der Schah von Persien, Leopold von Belgien, Carol von Rumänien, Toscanini, Franz Schubert, Thomas Mann, Grillparzer und viele andere besuchten in Bad Gastein die Kurbäder und genossen die „Sommerfrische“.
Diese Grandesse, diese grossartige Architektur der Kaiserzeit und Jahrhundertwende, wurde in den 60ern und 70ern durch „moderne“ und „zeitgemässe“ Zu- und Umbauten gnadenlos verschandelt, heute stehen längst verfallene, bunkerartige Betonobjekte neben dem wunderbaren Grand Hotel de l´Europe (nein, nicht „Budapest“. Obwohl die Vermutung mehr als nahe liegt…).
"Thermenkongress" Rückseite, rechts daneben das "Grand Hotel de l'Europe"

„Thermenkongress“ Rückseite, rechts daneben das „Grand Hotel de l’Europe“

Nun zieren eingeschlagene Scheiben mächtige Hotels, mit Holz verschlagene Fenster sollen unbefugtes Eindringen verhindern.
Hotel Straubinger

Hotel Straubinger

Ein ganzer klassizistischer Häuserblock wartet hinter einem Bauzaun auf den Kuss, der ihn aus dem Dornröschenschlaf weckt.
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Vergessene Möbelklassiker der 70er verstauben im fluchtartig aufgegebenen Kongresszentrumsbunker.
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Alte Schriftzüge teurer Boutiquen halten nur mehr aus Gewohnheit an bröckelnden Fassaden, längst dem Vergessen anheimgefallene Skimarken liegen in Auslagen aufgelassener Geschäfte, ja, selbst das Schild „Kulturdenkmal“ schützt nicht vor dem Verfall – oder ist es gerade deswegen so?
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Über einen Zeitraum von 10 Jahren hat der Investor Franz Duval einen guten Teil der Hotels & Häuser in Bad Gastein erworben und angekündigt, diese zu renovieren und in ihrem Erscheinungbild zu bewahren. Diese Ankündigung wurde 2006 in den Medien berichtet – die Bilder, die im August 2015 entstanden sind, sprechen aber eine andere Sprache.
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ehemaliges Juweliersgeschäft

Eingebettet in eine der schönsten Berglandschaften Österreichs hat Bad Gastein defintiv einen Charakter, jenen fast schon morbiden Flair, der solch aufgelassener, geschichtsträchtiger Stätten eigen ist.
Dies ist jenes Österreich, das zwar doch irgendwie stolz auf seine Historie ist, das nicht zu stolz ist, das gute Geld der Touristen anzunehmen, und zwar reichlich, es aber trotzdem nicht für Wert befindet, seine Tradition zu ehren, zu erhalten oder gar zu schützen. Weder durch die Verschandelung durch „moderne“ Architektur oder durch die Bewahrung der Bestehenden.
Thermenkongress, Vorderseite.

Thermenkongress, Vorderseite.

Oh Bad Gastein, Du bist wie ein edles Schmuckstück der Urgrossmutter, das seinen wahren Charme erst durch die Patina entwickelt.
Du hast soviel erlebt und gesehen, man hat Dich misshandelt und nun fast vergessen.
Und gerade weil man Dich nicht wie eine alte Hure herausputzt zeigst Du Deinen ungeschminkten Charakter und bist einer der schönsten Orte dieses so undankbaren Landes!

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About The Author

Vater, DJ, Photograph, Grafiker und neuerdings auch Schreiberling für untergrund.city. Goddammit, welch Karriere!

2 Responses to Eine Liebeserklärung an Bad Gastein.

  1. Oliver Huber says:

    Hey,
    ich war im Juni 2016 in Bad Gastein und habe ganz ähnliche Eindrücke wie du erfahren. Wie es mit dem Stadtzentrum weiter geht? Keine Ahnung – wir werden es wohl erleben.

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